SehnSuchtblog
20. März 2023 

Adaption als Schritt nach vorne in ein neues Leben

“Süchtig nach Leben” – Jeder Weg in eine Abhängigkeit ist vielschichtig, facettenreich, sehr persönlich und individuell. Mit diesem SehnSuchtblog möchten wir die persönlichen Geschichten dahinter beleuchten, Suchttherapie-Möglichkeiten aufzeigen, bestärken, den Weg aus der Sucht zu gehen und Lebenslust versprühen. Denn: Das Leben ist schön, sogar wunderschön. Und zu schön, um es vom Suchtmittel beherrschen zu lassen.


Eine Adaptionsmaßnahme – eine Maßnahme, bei der Suchtpatientinnen und -patienten nahtlos im Anschluss an eine stationäre Entwöhnungsbehandlung dabei unterstützt werden, sich ein stabiles Lebens- und Arbeitsumfeld aufzubauen sowie neue Lebensqualität zurückzugewinnen. Patientinnen und Patienten würden die drei Monate stationäre Entwöhnung und anschließende drei Monate Adaption häufig als eine große Rehabilitationsmaßnahme sehen, als ein halbes Jahr, in dem sie ihr Leben neu ausrichten, so Rieke Kuhlmann, therapeutische Leitung der Paracelsus Berghofklinik II in Bad Essen. Eine Reha für einen gelungenen Neustart.

Nahtloser Übergang

Ein wichtiger Aspekt der Adaptionsmaßnahme ist der nahtlose Übergang von der stationären Entwöhnung in die Adaptionsmaßnahme. Warum? „Der nahtlose Übergang erhöht schlichtweg die Compliance bei den Patientinnen und Patienten. Sind sie kurzzeitig zu Hause müsste ein zweites Mal die Motivation für eine Behandlung aufgebracht werden und sie müssten sich „neu aufraffen“. Gleichzeitig wirkt ein nahtloser Übergang einem Rückfall entgegen. Schließlich wurde die Adaptionsmaßnahme auch beantragt, um mehr Sicherheit zu gewinnen“, erklärt Kuhlmann. Die Patientinnen und Patienten seien durch die vorherige stationäre Entwöhnung gedanklich mit der Bearbeitung ihrer Themen beschäftigt, sind auf die individuellen Ziele fokussiert. Ein Aufenthalt zu Hause würde diese Fokussierung unterbrechen oder sogar auflösen. Die Frage „Was bin ich und mein Leben?“ könne durch einen nahtlosen Übergang besser im Blick behalten werden. Das zeigt auch die Rückmeldung eines Patienten: „Nach der Reha der Gang nach Hause, zu meiner Ex-Freundin und von da aus was Neues zu suchen wäre eher ein Rückschritt für mich gewesen. Der Gang in die Adaption ist für mich ein Schritt nach vorne ins neue Leben.“

Auch die Tatsache, dass Patientinnen und Patienten während der stationären Entwöhnung zunächst oft erst einmal Zeit brauchen, bis sie in der Therapie ankommen und ihren persönlichen therapeutischen Prozess beginnen, spricht für eine anschließende Adaptionsphase, denn der nahtlose Übergang  umgeht eine erneute Eingewöhnungsphase.. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass Patientinnen und Patienten nach einem kurzen Aufenthalt zu Hause im gewohnten Umfeld häufig wieder eine deutlich längere Anlaufzeit für den Start in die Therapie benötigen. Der nahtlose Übergang ist somit Teil des Behandlungskonzeptes und Grundvoraussetzung für eine Adaption. Kuhlmann bringt es auf dem Punkt: „Gesetz dem Fall, ein Patient oder eine Patientin bricht ein paar Tage vor der Aufnahme in unsere Adaption die stationäre Entwöhnung ab, ist das für uns als Adaptionseinrichtung ein Ausschlusskriterium für eine Aufnahme. Ohne einen nahtlosen Übergang ist eine Aufnahme nicht möglich.“

Stationäre Entwöhnung und Adaption an einem Ort

Einen besonderen Vorteil genießen insbesondere die Patientinnen und Patienten in den Bad Essener Suchtfachkliniken durch die Nähe zur Paracelsus Berghofklinik II und somit kürzeren Wegen als die nahegelegenen Suchtfachkliniken in der Region. Die Adaption ist zu Fuß oder per Shuttle innerhalb von Bad Essen erreichbar und mit wenig Aufwand verbunden. Der ein oder andere bringe auch schon eine Woche vor Beginn der Maßnahme erste Gepäckstücke in die Adaption und nutze die Möglichkeit, sich die Einrichtung vorher anzuschauen. „Die Patientinnen und Patienten bekommen so einen noch besseren Bezug zur Adaptionseinrichtung. Und letztendlich unterstützt es dabei, den Übergang noch fließender zu gestalten.“

Typische Käseglocke wird angehoben

Beim Wechsel in die Adaption ist es für die meisten herausfordernd, sich in der Einrichtung einzugewöhnen, da sie mehr auf sich gestellt sind und eigeständiger werden müssen. Besonders zu Beginn ist die Umstellung groß, nicht mehr dauerhaft 100 oder mehr Mitpatientinnen und -patienten sowie Ansprechpartner um sich zu haben und mit diesen Gefühlen umzugehen. Das Thema „Ich muss mich wieder mit mir beschäftigen“ rückt in den Fokus. Die Patientinnen und Patienten haben mehr Freiheiten und Rechte, können neben dem Therapieplan ihren Tagesablauf selber gestalten. Das erfordert mehr Eigeninitiative und Hilfe zur Selbsthilfe als in der stationären Entwöhnung. „Die typische Käseglocke in den Suchtfachkliniken wird in der Adaption ab dem 1. Tag leicht angehoben“, verbildlicht Kuhlmann. Die Bedingungen ähneln den Bedingungen zu Hause, können als eine Art Alltagstraining verstanden werden. Gleichzeitig sei die Hilfe und Unterstützung viel greifbarer als zu Hause. „Adaption ist Alltagsleben in einem Schutzrahmen. Jede Patientin und jeder Patient muss neben dem Therapieplan für sich eine Tagesstruktur und eine Erfüllung im Tag finden“, bringt es Kuhlmann weiter auf den Punkt.

Alltagsleben im Fokus

Das Team der Adaption fungiert dabei gleichzeitig als Alltagsbegleiter und Therapeut. „Alltagspraktische Fragen wie „Wie halte ich meine Wohnung in Ordnung?“ oder „Wie lagere ich Lebensmittel im Kühlschrank?“ werden gestellt und von uns beantwortet. Dabei ist keine Frage zu doof“, führt Kuhlmann aus. Es gehe um die kleinsten Dinge im Alltag, insbesondere bei den jüngeren Patientinnen und Patienten, die die Rehabilitation nutzen, um das erste Mal auf eigenen Beinen zu stehen und um von zu Hause auszuziehen. All diese Facetten dürfen in der Adaption gelebt und ausprobiert werden, mit allen Sorgen, Ängsten und Nöten, die damit verbunden sind. Die Gestaltung und Umsetzung von Freizeitkonzepten spielt ebenfalls eine große Rolle, da ein erfülltes, vielfältiges Alltagsleben vor der Suchtrehabilitation kaum vorhanden war.

Zusammengefasst, so schildert Kuhlmann abschließend, verändern sich mit dem Wechsel aus einer stationären Entwöhnung in die Adaption die Themen. Der Fokus liege während der Adaptionsmaßnahme auf der Außenorientierung mit Arbeitssuche, Wohnungssuche und Festlegung eines neuen Lebensmittelpunktes, während in der vorgeschalteten stationären Maßnahme die innerpsychischen Prozesse im Fokus stünden, die jedoch in der Adaption weitergeführt werden.